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Warum sterben Mütter in Filmen, was denkst du? Diese Frage stellte mir meine zehnjährige Tochter, nachdem sie in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel gelesen hatte, in dem es um das gehäufte Sterben von Müttern im Film geht.

Ich finde es mehr als begrüßenswert, wenn auf die Gender-Problematik in Filmen oder im Filmbusiness aufmerksam gemacht wird, denn wie überall herrscht auch hier der männliche Blick und fehlt es an Frauenfiguren, die mehr sind als Männerphantasien, Objekt, Klischee. In diesem Falle jedoch kann ich keinen Zusammenhang zwischen sterbenden Müttern im Zeichentrickfilm (und Märchen) und Frauenfeindlichkeit ausmachen: Geschichten bilden oftmals ein äußeres Bild von inneren Prozessen ab. Wenn Filme für Kinder geschrieben werden, behandelt es nicht selten das Thema REIFE, heißt: die Geschichten erzählen von Kindern, die einen nächsten Schritt in Richtung Erwachsenwerden wagen. Dazu gehört der Schritt, zu erfassen, dass sie nicht länger eins sein können mit der Mutter, sondern unabhängig von ihr in der Welt bestehen müssen. Aus diesem Grund gibt es neben den mutterlosen Kindern ohnehin verstärkt Waisen und vaterlose Kinder in Märchen und Sagen, in der Literatur und eben auch im Film, weil sei bebildern, wie es ist, nicht länger behütet zu sein. Der Zustand, dem die ProtagonistInnen ausgeliefert werden, lässt sie zu der (wichtigen) Erkenntnis gelangen: Meine Eltern werden nicht immer für mich sorgen.

Wenn ich als Autorin die Mutter anfangs sterben lasse, finde ich für das unsichtbar emotionale ein womöglich wenig originelles, jedoch machtvolles Ereignis, um dieser Erkenntnis und dem sich anschließenden Prozess eine bildhafte Verdichtung zu geben, treffe also eine primär dramaturgische Entscheidung, auch, wenn meine kleinere Tochter diese dramaturgische Entscheidung (wortwörtlich:) „scheiße“, findet. Aus Autorinnensicht liegt jedoch in der toten Mutter keine marktwirtschaftliche Erwägung (mit toten Frauen Geld zu machen), sondern ein starkes Motiv, um den Kindern (dem Publikum) in einem einzigen Bild zeigen zu können: Du musst jetzt ohne deine Mutter in der Welt bestehen – ein Schicksal, dass uns allen blüht.

Eine Geschichte ist eine Geschichte und meint nicht, dass es wünschenswert ist, dass eine Mutter in der realen, sichtbaren Welt sterben sollte (was geschieht) oder ein Vater oder wer auch immer. Ebenso wenig ist es wünschenswert, dass der Weltuntergang von einem einzigen roten Knopf abhängt (was geschehen könnte), der nur gedrückt werden muss, und dann gibt es den großen Knall, aber in einem Actionthriller bietet er eine von vielen Möglichkeiten, zu zeigen, wie filigran unser technisches System ist. Wenn ich Geschichten in dem Sinne begreife, aus dem sie schon seit Tausenden von Jahren existieren, nämlich, um menschliche Prozesse des Scheiterns und Reifens zu veranschaulichen, dann finde ich es sehr kraftvoll, den Tod an den Anfang einer Kindergeschichte zu stellen, um in ihm einen Ausdruck von der ohnehin bestehenden Angst zu finden: Wie wird es sein ohne meine Mutter?
Kinder sind schlau im Geschichten-lesen (-schauen) und darin, die darunter liegende Bedeutung zu entziffern. Sie weinen über den Verlust von Bambis Mutter (je nach Alter), weil es weh tut, die Mutter (stellvertretend und gleichwohl symbolisch) zu verlieren, verfügen jedoch gleichzeitig über ein tieferliegendes Verständnis des fiktiven Ereignisses, sodass es nicht existentiell bedrohlich wird. Zudem erlebt das Kinderpublikum, wie die ProtogonistInnen sich weiterentwickeln und auf sich vertrauen dürfen, heißt: wie sie auch ohne Mama (Vater/Eltern) durchkommen.

So lautet das Gesetz von Erwachsenwerden.

Und die Kinder, die mit der Mutter und/oder dem Vater zu Hause auf dem Sofa sitzen haben, freuen sich umso mehr, dass diese noch da sind. Alle anderen bekommen Mut, dass (beinahe) jede Situation zu meistern ist. Dass eher Mütter in den Filmen (Geschichten) für jüngere Kinder sterben, hat den Grund, dass die frühe Bindung eben vorwiegend an die Mutter gekoppelt ist, der spätere Konflikt von: „Was TUE ich in der Welt?“ hingegen an den Vater, weshalb in Jugendfilmen(-geschichten) wiederum die Väter oftmals eine zentrale Rolle (oder einen zentralen Tod) zugewiesen bekommen, oft auch erst in Erwachsenenfilmen, weil die Loslösung vom Vater für Jungen damit einhergehen kann, nun die Position des Ernährers zu bekommen (also selbst schon Vater zu sein) – das mag nach vereinfachter Schreib-Psychologie klingen, hat sich aber bewährt und gibt dem Kinderpublikum bis heute wichtige Impulse und Ermutigung.
Und um noch eine Lanze für den Animationsfilm zu brechen: Animation haucht in erster Linie dem Nicht-Lebendigen eine Seele ein, also schafft das, was auch Kinder permanent tun (und manche Erwachsene glücklicherweise ebenfalls). Das ist ein Grund, warum sie so beliebt sind. Und einer der großen Vertreter der Animation, Hayao Miyazaki, erschafft im Übrigen die besten Mädchenfiguren, die mir in (Film-)Geschichten bisher untergekommen sind, weil er die Mädchen (insgesamt Frauen, auch und gerade Mütter!!) nicht einfach den Jungen angleicht (hier wäre einmal über Geschlechterbilder zu diskutieren, also warum Mädchen-Hauptfiguren vermeintlich männliche Eigenschaften gegeben werden, um sie cool erscheinen zu lassen), sondern mit Eigenschaften ausstattet, die gleichsam Kraft und Zerbrechlichkeit zeigen und somit Eigenschaften, die allen Menschen eigen, eben weil sie Menschen sind.
In Miyazakis Filmen aber rackern Mütter gegen Tsunamis oder ringen der Erde Nahrung ab, während sie außerdem Kinder behüten und gelegentlich ausflippen. Nicht um Supermütter zu werden, die multitsaken, sondern weil beides zu einem (Frauen- und Männer-9 Leben dazugehört. Und die Töchter dieser Mütter kämpfen sich durch Abenteuer und tragen dabei ihre spezifischen Fähigkeiten von Denken und Fühlen und Mut zum Handeln in die Welt hinein. Sie heißen Kiki, Ponyo, Mei, Sheeta, Satsuki, Sophie, Chihiro etc. und zeigen uns, wie mutig es ist, den eigenen Stärken zu vertrauen, um durchzukommen, auch ohne cool werden zu müssen.
DAS sollten Mütter ihren Kindern zeigen, erzählen, vorleben. Mädchen wie Jungen.

Über die Frauenfiguren und deren Darstellung in Filmen im Allgemeinen darf, sollte, muss!, weiterhin gestritten werden, denn der Ruf nach starken Frauenfiguren wirkt gegenwärtig wieder sehr begrenzt auf das Klischee der starken Frau, wie sie sich männliche Produzenten wünschen mögen, ohne darauf zu vertrauen, dass weibliche Autorinnen wissen, was sie tun: In ihrem denken, Fühlen und dem Mut, zu handeln, in diesem Falle: die richtigen Geschichten zu schreiben. Lassen wir diese Geschichten nicht so frühzeitig sterben wie die Mütter in der Kinderliteratur. Auf dass der Reifungsprozess gelänge.