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 – Juli 2020, anlässlich der Entscheidung in Oberösterreich, nach der Entdeckung eines Clusters in fünf Bezirken ausnahmslos alle Veranstaltungen abzusagen (auch outdoor und gewissenhaft organisiert wie in Ottensheim) und alle Schulen und Kindergärten zu schließen. –

Wir sollten entscheiden, wie wir als Menschen leben wollen und uns gewahr zu werden, wo es hingehen soll mit dieser Menschen-Gemeinschaft. Frage: Was macht eine Gesellschaft aus? Woher nehmen wir Sinn und Gehalt und Nahrung für die Seele? Das Gefühl für Schönheit? Die Freude und innere Gesundheit?

Der Weg dorthin ist ebenso gepflastert mit Entscheidungen, zum Beispiel die Entscheidung, wie wir mit unserem Leben umgehen wollen. Und zwar langfristig, weil Krankheiten uns weiterhin begleiten werden, je länger wir das Leben weiterhin mit Füßen treten, missachten, und uns von allem Verbindenden und Verbindlichen abschneiden.

Anfang Juli stieg in Oberösterreich die Zahl der Infizierten abermals (und erstmals in diesem Maße nach dem Shutdown), nicht ganz überraschend für alle, die ohnehin Vorsicht haben walten lassen, um ihren Wiedereinstieg ins berufliche und gesellschaftliche Leben nicht zu gefährden, zum Beispiel uns KünstlerInnen. Nach dem kurzen Aufatmen dann kamen erste zarte Bemühungen (und hier kommt die persönliche Betroffenheit), als Kunstschaffende unter Berücksichtigung von Vorsichtsmaßnahmen an Strategien zu basteln, die Veranstaltungen möglich machen könnten, wie es gehen könnte, ohne Teil des Problems zu werden, sondern Teil einer Lösung zu sein. Dieses erstes Wiederaufblühen ist noch vor der Blüte (vor der Ernte sowieso) wieder niedergetreten worden. In meinem Falle: eine Freiluft-Lesung mit Kollegin Irene Kepl in kleinem Rahmen, mit Abstand und Maske,ohne direkten Körperkontakt. Durch die pauschale Absage an ALLE Veranstaltungen in fünf oberösterreichischen Bezirken, ohne Differenzierung, musste sie ausfallen, während alles andere unangetastet blieb, selbst die Maskenpflicht nicht mit sofortiger Wirkung wieder eingeführt wurde. Aha. Kultur, und ebenso pauschal die Bildung unserer Kinder, deren Schulalltag abermals von einem auf den anderen Tag ausgesetzt wurde (das trifft mich als Mutter UND freischaffende Künstlerin doppelt), das zutiefst Humane, Sinnstiftende, Nährende, gelten also als weniger wert, weniger relevant als die Bereiche, die uns in erster Linie als KonsumentInnen sehen?

Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass Geld nicht sinnstiftend sein kann und auch nicht heilend. Ja, Unterstützung braucht es dennoch – für viele von uns, und ich bin dankbar, in einem Land wie Österreich aufgefangen zu werden, aber: Es geht nicht nur um Geld; der Mensch will (allen anders lautenden Meinungen zum Trotz) arbeiten! Ich will arbeiten, ja, denn ich halte Arbeit für wichtig und erfüllend. Meine Eltern wollen Berührung und mein Kind will eingebettet sein in soziale Zusammenhänge und sein Recht auf Bildung ausüben (anders lautenden Meinungen zum Trotz, auch hier). Studierenden wollen „in Beziehung“ lernen, bevor die Wut um sich greift, die jede Solidarität in ihren Flammen erstickt. Fallengelassen zu werden, aber als Konsumentengruppe willkommen zu sein, das hält eine kindliche Psyche bedingt aus.

Fallengelassen zu werden, weil es sich nicht rechnet, hält niemand aus.

Also fragen wir uns bitte, und ich frage auch Sie, Herr Stelzer: Wie wollen wir die Säulen Gesundheit, Kultur, Bildung stabilisieren, auf denen jede Gemeinschaft fußt? Wie wollen wir der allgemeinen Frustration entgegenwirken: von den Kindern, den Eltern, von all jenen, die ihre Arbeit nicht ausüben dürfen, nicht berührt werden, nicht gehört werden, keine Stimme haben, keine Sprache? Bitte, bitte keine undifferenzierte Willkür mehr, wann welche Maßnahmen getroffen werden. Allein deshalb, um die Solidarität ALLER nicht zu gefährden. Wo ist Vorsicht sinnvoll, unvermeidbar und zielführend, wo pauschal, undurchsichtig und krankmachend, ja, kränkend? Bitte, überlegen wir eine Strategie, die soziale, psychische, emotionale, kreative Aspekte vor Umsätze reiht.

Denn auch deshalb will ich arbeiten und sehe es als sinnstiftend an, (im Rahmen des Möglichen) öffentlich zu lesen, gemeinsam auch mit Schüler und Schülerinnen: Weil über das Geschichtenerzählen das Staunen, Atmen, Denken, ja das Menschliche, in den Vordergrund gerückt wird. Alles, was je erzählt wurde und wird, drückt das Gemeinsame aus, das Verbindende, das, was das Leben ausmacht, statt durch voranschreitende Ökonomisierung an Lifestyles zu stylen, die uns zu unterscheiden versuchen. Wir sind keine Einzelwesen, sondern brauchen jede Einzelne mit dem, was er oder sie tut und ist. Den politischen EntscheidungsträgerInnen sei an dieser Stelle empfohlen, sich gelegentlich mit der schreibenden Zunft auseinanderzusetzen. Wir sitzen alle in einem Boot, allein dadurch, dass wir Menschen sind. Auch das erfahren wir gerade. Wir sind Gesellschaft und sollten die Verantwortung übernehmen: uns selbst und unserer Umwelt gegenüber. Wie können wir uns gegenseitig schützen, wertschätzen, unterstützen? Wie können wir verantwortungsbewusst handeln, ohne das Leben fallenzulassen?

Nehmen wir unser Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit ernst.

Danke.

 

Sollen wir AutorInnen fortgehen, um woanders bessere Bedingungen vorzufinden? Nur: Was wäre, wenn es nirgendwo ein Literaturland gäbe in dem Sinne, was wir darunter verstehen würden? Wie sähe das Land aus, das sich für Literatur interessiert, Literatur lebt, Bezüge zur Literatur herzustellen imstande ist? Ein Land, in dem Literatur praktiziert wird, indem sie nicht allein geschrieben, sondern zudem kommentiert wird und sichtbar gemacht in der Öffentlichkeit?

Ein schönes Land.

Seit zehn Jahren lebe ich in Oberösterreich und teile den Eindruck alteingesessener KollegInnen, dass sich hier um Literatur wenig geschert wird, ebenso wenig allerdings wie in Hamburg, wo ich den Großteil meines Erwachsenenlebens zugebracht habe und Literatur gern ausschließlich als Groß-Event eingesetzt wird, oder gar in Bremen, meiner Geburtsstadt, zu schweigen vom Ammerland, wo ich zuletzt gewohnt habe.
Vielleicht ist es so, dass die Literatur nur von innen kommen kann, von uns, die wir Literatur zu schaffen versuchen, und all jenen, die in und mit ihr leben, und ihr über ihre Liebe zu ihren noch unbewohnten Welten einen Weg in die sogenannte Wirklichkeit bahnen, unabhängig von allen Gegebenheiten. Wenn wir auf die Literatur als Raum der Möglichkeiten vertrauen, sorgen wir dafür, dass sich diese Räume auch auftun, daran will ich glauben. Vermutlich ist das der einzige Weg, den wir gehen können, denn das Außen ist träge und interessiert sich zunächst für das bereits Vorgefundene, sprich: Gegebenheiten, die sich bereits bewährt haben, wie zum Beispiel: Literatur als touristische Attraktion an der Elbe, KünstlerInnenfeste als fotogenes Motiv der Parteienwerbung, Literatur als Unterhaltungsmedium für auswärtige Gäste.

Mit den Räumen des Möglichen verhält es sich wohl so, dass sie erst geboren und dann betreten werden, und da sie pränatal nicht zu besichtigen sind, sieht es dunkel aus mit der finanziellen Absicherung für das Nicht-Geborene. Das sagt mir meine Erfahrung, egal in welchem Land, und ja, unsere finanzielle Situation ist desaströs – keine Außenstehenden können sich das Ausmaß der Erniedrigung vorstellen, solange sich Wert nach Geld bemisst. Ich denke , dass dies in Oberösterreich ebenso gilt wie in New York, was Oberösterreich nicht von der Verantwortung für die Kunstschaffenden entbinden sollte, ebenso wenig wie New York, aber mir die Verantwortung belässt, meine Arbeit zu tun, weil ich sie tun will.

Ich lese gerade wieder einmal in Just Kids von Patti Smith, die von New Jersey nach New York geht, um Künstlerin zu werden, wohl wissend, dass ihr schwere Zeiten bevorstehen, brotlose Zeiten und harte Arbeit. Zweierlei interessiert mich daran. Erstens: Warum überhaupt New York, wenn die Situation des Künstlers, der Künstlerin überall gleich ist und sich die Konkurrenz in Städten wie New York oder Berlin im Gegenteil zudem auf den Füßen steht? Mein Versuch einer Antwort: Um Gleichgesinnten zu begegnen, die sich gegenseitig unterstützen, auch einmal, indem sie einfach ihr Brot teilen. Um einander Impulse zu geben, die Arbeit zu koordinieren, Räume zu schaffen, in denen sich begegnet werden kann und die Arbeite besprochen, Räume wie zum Beispiel das Chelsea Hotel. Das macht das New York dieser Jahre zu einem Kunst- und Literaturland: die Leute, das Vermögen, sich mit-teilen zu können im Unfertigen, während des Werdens, auf dem Weg, innerhalb des Prozesses, in der gegenseitigen Wertschätzung der eigentlichen Arbeit, die ansonsten versagt bleibt. Vielleicht ist es das, was mir hierzulande fehlt (und in Hamburg auch): der geistige Austausch, das Verständnis, das dieser Art der Arbeit, wie wir sie jeden Tag unverdrossen (?) tun, entgegengebracht wird.
Patti Smith lehnt nach ihrer ersten öffentlichen (erfolgreichen) Lesung in Folge einen Plattenvertrag ab, weil sie in der Biografie von Crazy Horse liest, er glaube, er werde im Kampf siegreich bleiben, doch sobald er innehalte, um auf dem Schlachtfeld Beute an sich zu nehmen, sei er verloren.
Patti Smith wollte sich nicht aneignen, das ihr nicht zustand.

Ich mag den Gedanken, nicht innezuhalten und nicht träge zu werden. Wo ist unser Chelsea Hotel? Ist Fortgehen die einzige Möglichkeit, es zu finden?

(zur Kürzung der Literaturförderung in Oberösterreich)

Die Literaturförderung hierzulande ist empfindlich gekürzt worden: von den 0,12 %, die das Kulturbudget für die Literatur vorsieht, noch einmal 34%. Was tun? Beklagen und Lamentieren?

Ich denke, es könnte ein Anlass sein, über den Stellenwert von Literatur innerhalb einer Gesellschaft nachzudenken und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sich beim Schreiben als Profession nicht um das Privatvergnügen einiger einzelner Menschen handelt, sondern es von allgemeiner Bedeutung ist, diese Arbeit zu verrichten. Literaturschaffende gehen einer Arbeit nach, wie andere Menschen auch, einer Arbeit, die zudem einen gesellschaftlichen Auftrag verfolgt, wie es beispielsweise auch das Theater tut, ja, das Kulturschaffen als solches. Ohne die Unterstützung der Solidargemeinschaft (Gesellschaft) wäre all das nicht zu leisten, das stimmt, und gilt für andere Bereiche ebenso. Es gibt viele Arbeitsplätze, die ohne die staatliche Zuwendung nicht erhalten werden könnten, weshalb das Steuerzahlen dem Umstand Tribut zollt, dass Arbeit, die nicht in erster Linie umsetzt, dennoch finanziert werden muss wie jede andere Arbeit, zumal, wenn sie dem Gemeinwohl dient. Wir steuern auf eine Zeit zu, in der die Arbeit nach und nach von Maschinen getätigt und von ihnen ersetzt werden wird, an denen jene verdienen werden, die diese Maschinen entwerfen, besitzen und steuern. Der Umsatz steigt. Dann gibt es jene Skills, die (Gott-sei-dank) niemals maschinell oder digital erzeugt werden können, wenig „einspielen“, aber uns Menschen als Menschen auszeichnen, als Wesen, die einander berühren und sich berühren lassen, füreinander sorgen, die niemals (niemals!) bemessen werden können nach dem Ertrag, den sie bringen, sie liegen jenseits der Gesetze und Maßstäbe des Marktes, wohl aber nach ihrer Funktion für den gesellschaftlichen Wert. Diese Skills schenken dem Leben jenen Wert, der dem menschlichen Streben nach Wertsein und Transzendenz entspricht: im Machen und im Empfangen. Keine dieser Säulen, die jedoch unsere Gesellschaft stützen, kann je in direkten Umsätzen gedacht und kalkuliert werden: Weder die Kindererziehung, noch die Pflege und Gesundheitsversorgung, weder die Bildung, noch eben die Kultur, die uns immer wieder in Kontakt bringt mit dem, was dieses Menschsein und seine Gebrechlichkeit bedeutet. Deshalb muss es Arbeiten geben, die Kapital erwirtschaften und Arbeiten, die mit diesem gewonnenen Kapital finanziert werden. Dass dieses Kapitel überhaupt gewonnen werden kann, auch dazu tragen alle auf ihre Art bei: sei es durch Freistellung der Arbeitskraft, indem die Pflege der gemeinsamen Brut übernommen wird, sei es durch Pflege des physischen und psychischen Wohlergehens, sei es durch Vermittlung von Erkenntnissen oder die Impulse in Form frischer Ideen. So lautet die Vereinbarung unserer sozialen Idee: dass das eine das andere mitträgt, und deshalb zahlen wir auch Steuern. Ich finde, das ist ein gutes Prinzip, ein menschliches, weil solidarisches Prinzip (s.o.).

Literatur ist Artikulation und Reflexion unserer Umwelt und Geschichte. Sie ermöglicht das Sprechen über gesellschaftliche Phänomene und menschliche Eigenarten, sie gibt Gefühlen und Ideen und Randerscheinungen eine Sprache, die stimmlos bleiben würden ohne sie. Damit allein leistet die Literatur den nicht unwesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis des Miteinander, zum Erkennen menschlicher Schwäche und Möglichkeiten, erkundet Wege, einen neuen Umgang zu finden und Wege aus der Isolation. Hier findet, neben den verschiedensten Ausdrucksformen menschlicher Bedürfnisse und Gegebenheiten, auch der Diskurs einen Platz, und nicht zuletzt das Denken. Eine komplexe Zeit benötigt komplexe Denkansätze. Das Schreiben versucht sich auch darin, den Stellenwert des Menschen innerhalb der Bedingung, in denen er lebt, zu definieren und neu zu bestimmen. Das wird zunehmend wichtiger, denn der Mensch sollte bei allen Errungenschaften im Mittelpunkt von Wirtschaft und Fortschritt stehen. Dafür benötigt es einen Ausdruck, und für diesen Ausdruck benötigt es möglicherweise SchriftstellerInnen, die sich qua Profession darin geübt haben, der Beobachtung eine Form zu geben. Das bedeutet in der Tat harte Arbeit, und jede Arbeit muss irgendwie bezahlt werden. Dass diese Arbeit manchmal auch Vergnügen ist, tut hier wenig zur Sache: jeder Beruf vereint bestenfalls Arbeit und Vergnügen. Es ist wahr, dass der Beruf AutorIn oftmals mit Berufung einhergeht, und das muss er, denn müsste es sich rechnen, würde kaum jemand die Plackerei auf sich nehmen. Meine letzte Quelle bezeugt mir einen Stundenlohn von höchstens 42 Cent, so die Bestsellerautorin (!) Nina George in einem Artikel der ZEIT vom 20.10.2016: „Irgendein Witzbold ermittelte mal anhand der Künstlersozialkassen-Statistik den Stundenlohn von Buchautorinnen der »working class«, und er kam auf sensationelle 42 Cent. Es können aber auch problemlos weniger sein.“ Auch hier geht es mir weniger ums Jammern, als um Aufklärung: Der Verkauf eines meiner Bücher erwirtschaftet mir eine Summe von 10% des Buchpreises je Exemplar – es rechne an dieser Stelle, wer wolle.

Wollen wir (und hier meine ich nicht allein: wir AutorInnen, die wir hier leben, sondern die Menschen diesen Landes, sowie die Menschen aller Länder) den Standort Oberösterreich als einen Ort etablieren, aus dem das literarische Leben endgültig abwandert oder bildet es womöglich einen Wert für uns und unsere Kinder, die Literatur lebendig zu halten vor Ort, um Veranstaltungen, Schullesungen, Austausch, Begegnung, Diskurs im Herzen der Gesellschaft zu halten und davon zu profitieren, dass es diese Lebendigkeit im unmittelbaren Erleben weiterhin geben wird? Dies nicht als Bitte um Almosen, sondern als Aufforderung an alle Menschen, frei zu entscheiden, was es uns wert ist, die Kultur als Herz einer Gesellschaft zu begreifen – mit allen Bereichen, die darunter fallen.

Veranstaltungen

Im Rahmen von Sternlesen 2024 lese ich aus Drei Tage drei Nächte.

Autorin Lisa verbringt drei Tage und drei Nächte im Schnurren des Gedankenrades in ihrem Kopf und spinnt ein immer aberwitzigeres Netz um Beruf, Psychologie, Religion, Sexualität, Feminismus, Bibliothekswesen, Romantische Liebe, Mutterschaft. So fühlt sie sich sicher und spürt gleichzeitig die Not, die sie in dem Gespinst gefangen hält, bis es zu einem unerwarteten Moment der Offenbarung kommt.