Jugendliche, die denken
Ich behaupte, es gibt das Bedürfnis zum Denken: nachdenken, suchen, hinterfragen, den eigenen Kopf benutzen, eine Haltung finden. Alle wollen wir das, Erwachsene wie Jugendliche. Allein: Es muss Räume dafür geben, es muss trainiert werden, im Diskurs, beim Lesen, beim Sprechen.
Im Austausch mit Kolleginnen entsteht der Eindruck, es sei keine Ausnahme, ein Manuskript, das sich in erster Linie an Jugendliche richtet, mit der Aussage abgelehnt zu bekommen, es sei zu reflektierend geschrieben.
Warum ist das so?
Mir stellt sich die Frage, wie ich meine eigenen Erfahrungen mit Jugendlichen und meine Erinnerungen an mich selbst als Jugendliche, mit der Einschätzung zusammenbringe, „die Jugendlichen“ wollten in erster Linie Unterhaltung. Allerorts entdecke ich dagegen in erster Linie Interesse am Teilen von Gedanken und am Ergründen der Frage: Wie denkt eine andere, ein anderer darüber?
In meinem neuen (noch unveröffentichten) Jugendroman sinniert die Protagonistin Nikola über dies und das, echauffiert sich, stellt Überlegungen an – in erster Linie über ihre Rolle als Mädchen, allgemeiner: über die Zuschreibungen, denen Jungen und Mädchen gegenwärtig ausgesetzt sind, stärker denn je, subtiler unter Umständen, kraftvoll auf jeden Fall. Wie viele andere passt Nikola in kein Schema, nicht in das Bild der von Film-, Werbe- und Kleidungs-Industrie generierten Mädchenrolle, die auch im 21. Jahrhundert noch davon dominiert zu sein scheint, in erster Linie hübsch und „weiblich“ zu sein und findet keinen akzeptablen Leitfaden für sich, mit anderen Worten: Sie ist ein Mädchen, das es ablehnt, in Schubladen gesteckt zu werden. In dem FREIRAUM der Virtualität bastelt sie sich die Welt, wie sie sein soll, zeigt Erfindungsgeist und politischen Feinsinn, bis sie über die Falle stolpert, die allen Systemen immanent zu sein scheint: Angst vor Fremd-Einflüssen. Aber sie ist und bleibt ein Freigeist.
Und ja, in gewisser Weise ist der Text (auch) theoretisch, und nein, ich bin nicht beleidigt, ebenfalls keine (verlegerische) Zustimmung erhalten zu haben bisher, aber abgesehen von meinem Manuskript bin ich davon überzeugt, den Versuch zu wagen, neben vielen anderen Büchern, die in erster Linie von Handlung getragen sind, auch Bücher zu platzieren, die zum Nachdenken auffordern.
Im Sinne der Vielfalt.
In DER RABE IST ACHT lasse ich meine Hauptfigur Maja sagen: „Er hat eben seinen eigenen Kopf und keinen, der ihm aufoperiert wurde, nachdem der eigene zuvor Scheibchen für Scheibchen unauffällig und kaum merklich amputiert worden ist. Was wohl geschehen würde, wenn ich meinen eigenen Kopf wiederfände und ihn dann einfach ausprobieren könnte? Wenn ich nur wüsste, wo er sich versteckt hält. Unter meinem langen blonden Haar jedenfalls sitzt etwas anderes: Ein kluges Köpfchen, das vollgequatscht ist mit Soll und Muss […]“ Und in dem Jugendbuch, was dem RABEN noch folgen soll/wird/möchte, sagt Nikola: „Bei allem Unverständnis in Bezug auf das Verhalten anderer, war ich durchaus zu Freundlichkeit fähig, da ich ohnehin nicht daran glaubte, irgendjemanden für gender-bedingten Wahnsinn sensibilisieren oder irgendjemandem die Schuld dafür geben zu können, dass dieser Wahnsinn existierte; ich fand nur eigenartig, dass alle sich verhielten, wie sie sich eben verhielten, was soviel hieß wie: anders als ich. Mit oder ohne Rasur.“
Ich glaube nicht, dass es allen anderen so anders geht als ihr.
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