Es gibt den Zeitpunkt im Leben einer Autorin, da muss sie handeln, will sie handeln und die Sprachlosigkeit überwinden. Der Shutdown diente und dient als Lupe, die einen vergrößerten Blick auf die Strukturen wirft, in denen wir leben. Er rückt Ungleichgewichte in den Fokus in allen Bereichen des Lebens: finanziell, sozial, familiär, gesellschaftlich, künstlerisch. Nehmen wir die Literatur. Sie scheint als wenig systemrelevant zu gelten, zugleich jedoch zeigt uns die Zeit, wie sehr sie unser Verständnis für Persepktiven und Möglichkeiten erweitern hilft und Räume entstehen lässt, die wir kraft der Vorstellung betreten können und diesem Vorstellbaren eine Form verleiht.

Marlen Schachinger und Robert Gampus haben das Crowdfunding-Projekt Arbeit statt Almosen ins Leben gerufen, um der Ohnmacht etwas entgegenzusetzen und der Sprache von Autorinnen eine Öffentlichkeit zu schenken. Literatinnen werden, vor allem im Bereich der sogenannten ernsten Literatur und in den systemrelevanten (?) Verlagen, noch immer weniger verlegt und ihre Werke nach dem Erscheinen weniger besprochen als die der Kollegen. Es könnte sein, dass ihre Geschichten, ihr Zugang, ihre Sprache, nicht den Strukturen, nicht den Beurteilungskriterien entsprechen, die wir unhinterfragt als allgemeingültig gelten lassen, heißt: von DIESER Gesellschaft geprägt, aus einer dann doch männlichen Tradition heraus.

Ich denke, ich spreche für alle Kolleginnen, die sich dem Projekt angeschlossen haben, dass wir überzeugt sind, es braucht jede Einzelne und jeden Einzelnen, um eine Gesellschaft zu sein. Es braucht die diverse Sprache und den individuell geprägten Blick auf die Welt. Und wir glauben an die Kraft der Literatur, an ihre Bedeutung – auch und gerade in Zeiten von Krisen. Um ihr zu entfliehen, sie zu betrachten, sie zu überwinden. Um zu verstehen, wie sich Menschen verhalten, wenn sie in Krisen geraten oder sie vermeiden. Ein Buch zur richtigen Zeit am richtigen Ort kann Impulse geben, die nicht nicht allein dem eigenen Leben eine neue Richtung geben.

Dank der zahlreichen Spenden kann die Anthologie mit dem Titel Fragmente – Die Zeit danach im Oktober 2020 im PromediaVerlag erscheinen – in ihr die Beiträge von 19 Autorinnen, die sich mit dem Thema Krise auseinandersetzen: Was erwächst aus möglichen Krisen? Überwinden wir sie? Welche Spuren hinterlassen sie? Eine Krise verändert unweigerlich, verändert auch Strategien, wie zum Beispiel, den Mund zu halten. Nehmen wir es in die Hand und warten nicht länger. Geben wir unseren Stimmen die Öffentlichkeit. Überwinden wir hier die Krise der Sprachlosigkeit, auch wenn die Furcht vor ihr möglicherweise bestehen bleibt, solange sich die (Erzähl-)Strukturen nicht grundsätzlich ändern. Zumindest behauptet die Protagonistin meines Textes, eine, ich gebe es zu, eher unzuverlässige Erzählerin …

Ich freue mich auf ein ungewöhnliches Buch in ungewöhnlicher Zeit.

Buch und Hörbuch schon bald im Buchhandel erhältlich. Die Dokumentation hat am 11.10 im Programmkino Wels Premiere.

Ina will nichts mehr hören. Weder von Mondmännern noch von Krankheit und am allerwenigsten vom Tod. Sie steht auf und verlässt ihren Vater, die Bücher, die Internetseiten, den ganzen hilflosen Versuch etwas aufzuhalten, was nicht aufzuhalten ist. Wohin soll sie gehen?

(Im Schatten des Mondes, Monika Fuchs Verlag, 2018)

Eine Woche lang Steiermark und Lesungen aus einem Buch, in dem es darum geht, Krankheit als Teil des Lebens zu akzeptieren. Um den Versuch, mit ihr zu leben, statt verzweifelt sogenannte Normalität herstellen zu wollen. Sich mit Gegebenheiten auseinanderzusetzen und den eigenen Weg zu finden, zu sehen, was da ist, statt auf das zu starren, was fehlt. Den Gedanken, nicht in den Kategorien von Mangel zu denken. Den Appell, ein Leben zu suchen und zu finden, das dem jeweils einzelnen Menschen entspricht.

Mein Dank gilt der Buchhandlung Hofbauer für die Begleitung, den engagierten LehrerInnen und SchülerInnen für die vielen Fragen und anregenden Gespäche, die Aufmerksamkeit, den wachen Austausch.

So schön kann Lesen sein.

„Gute Erholung“, sagt mein Freund Oliver, als er erfährt, dass ich in Bad Hall einen Monat lang an meinem neuen Roman arbeiten werde.

Was bedeutet: Die Arbeit an einem Roman? – Sitzen, schreiben, schreibend sitzen, sitzend schreiben. Denken? – Auch. Gehen? – Um zu denken.

«Man muss über jeden Gedanken froh sein – merk dir das – ; verachte es nie, sorgsam irgendeinen Gedanken in irgendeinem Moment zu notieren.» (Ludwig Hohl)

Wieder schreiben. Und dabei jede Form der Zerstreuung meiden und versuchen, Kontakt herzustellen: mit sich selbst, der Welt, dem Vorhaben. Das ist der Sinn von Auszeiten und die Sinnhaftigkeit von Aufenthaltsstipendien (dem Land Oberösterreich sei Dank): Den Kopf zu durchlüften, denn nur ein freier Kopf kann … erfinden, wie es Handke postuliert, der Lebensspur folgen (Christa Wolf), schöpfen, finden, zusammenfügen, erahnen …? Die Arbeit an einem Roman kann vieles sein, aber sie benötigt einen Raum. Und Zeit. Und Geld.

Warum noch schreiben?

Um die Räume des Möglichen zu bewahren. Sich anzubinden an das Sein. Dem Gerenne entkommen, vielleicht dem Tun (auch Schreiben IST ein Tun). Der Technik, dem Technischen, dem Wettlauf mit der Zeit, den Wettlauf mit „dem Markt.“

Ich unterrichte Plotstrukturen und widme mich derzeit (dennoch?) dem Thema: Braucht es eine Handlung? Sind Erzählstrukturen (wie wir sie kennen) männlich? Ist das Fiktive dem Alltag überlegen? Die Reflektion der Abbildung? Oder umgekehrt? Das Denken der Erscheinung? – Lässt sich die Essenz des Lebens erahnen im Prozess des Gestaltens selbst?

In dem Manuskript, an dem ich gerade arbeite muss sich mein Protagonist von seiner Geiselnehmerin (die ihn zum Innehalten zwingen will) Folgendes anhören: „Vorschnelle Handlungen lassen die innere Stimme verstummen, ja, viele Menschen gönnen sich keine Ruhe vor Handlung und Bewegung, eben um dieser inneren Stimme auszuweichen.“ Und damit schaltete sie das Licht aus.

„Und warum?“, so fragt er am Ende die Frau, „warum hast du beim Schreiben schlussendlich Handlung eingebaut und diese Handlung auf ein Ziel hin angeordnet? Wenn du doch eine Frau bist?“

Die Antwort steht geschrieben.

Die nordfriesischen Halligen lassen mich nicht los, seit ich mit siebzehn Jahren das erste Mal nach Langeneß übersetzte. Seit Neuestem schleichen sie sich in meine Texte ein, auch fahre ich nun hin und wieder dorthin, um anzuknüpfen, wo es anfing: Mit dem Reisen. Der Weite. Dem Fragen. Dem Lieben.

Ja, es wird weitergefragt und weiter auf die Hallig gefahren. Reisen und Sich-Weiten geht jederzeit – wie in meinem neuen Bilderbuch Urlaub ahoi (Tyrolia-Verlag, März 2020) dem eine Kurzgeschichte zugrunde liegt:

Am dreizehnten Tag spüre ich es plötzlich: Das Haus bewegt sich. Und das ist jetzt kein Witz. Ein Blick durch das Fenster zeigt mir weit und breit weder Erde noch Grashalm. Sofort denke ich an die Halligen, über die ich soeben gelesen habe. Oben in Nordfriesland in Deutschland ragen sie als kleine Inseln aus der Nordsee. Wenn es zu stürmisch wird, nimmt sich das Meer das ganze Land, und nur die Häuser schauen noch aus dem Wasser hinaus. So auch wir. Unser Haus, meine ich.

Ich freue mich, ab März am Institut für Narrative Kunst einen neuen Lehrgang anbieten zu können. Danke an Marlen Schachinger! Tiefenaspekte des Drehbuchschreibens beschäftigt sich mit den Emotionen der Figuren, ihren blinden Flecken und dem Potential, sich (weiter) zu entwickeln. Damit bilden Filme einen verdichteten Lebensprozess ab – mit all den verdeckten Möglichkeiten, die in tieferliegenden Konflikten zu finden sind. Ich lade dazu ein, diese Zusammenhänge von Krise und Wachstum näher zu betrachten, um der Arbeit an einem Drehbuch ein stabiles Fundament zu geben.

Termine: Sa, 21.3., 18.4., 6.6.2020
Kursunterlagen: inkludiert
Kostenbeitrag: € 700,–
Ort: 1040 Wien, Rienößlgasse 3/4

 

 

Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral, schrieb Bertolt Brecht in der Dreigroschenoper und traf damit offenbar eine Wahrheit, die dem Satz den Status des geflügelten Wortes einbrachte.

Wie gut also, wenn Fressen und Moral am diesem Tag im Herbst (unter strahlender Sonne) so nah beieinander liegen wie auf dem Bauernmarkt in Wels: Am achten November diesen Monats lud die Welser Stadtschreiberin Marlen Schachinger Kollege Peter Huemer, Geschichtenerzählerin Ursula Laudacher und mich zu einem direkten Marktverkauf ein.

Literatur = Moral? Ich sehe die kritischen Augen, die mich in diesem Punkt verfolgen…

Dennoch, es stimmt: Literatur nährt den menschlichen Organismus auf nachhaltige Weise – als etwas, das bleibt und nachwirkt bis in den Tod (wir haben November). Und: Produkt Buch selbst bleibt beständiger, nachdem es sich einverleibt wurde, als es ein Bauernkrapfen je könnte (der zugebenermaßen die Sinne auf andere Art zu befriedigen weiß). In Bertolt Brechts Nachlass fand sich ein Gedicht, in dem er all die Dinge beschrieb, die er liebte, darunter dies:

Der erste Blick aus dem Fenster am Morgen/ Das wiedergefundene alte Buch […] Reisen, singen/ Freundlich sein.

Da Bücher nur selten auf dem Markt zu finden sind, aber Weihnachten auch dieses Jahr kommen wird: die Türen in den Buchhandlungen sind leicht zu finden. Und zu öffnen auch.

Nachdem Tirol bereits im Juni im Strandgut in Linz zu Gast gewesen ist, freuen wir uns nun auf die Gegeneinladung nach Innsbruck. In der Bäckerei werden am 30.10. meine Kollegin Christine Mack und ich gemeinsam mit den TirolerInnen Lina Hofstädter und Güni Noggl lesen. Und wieder geht es um das Thema: unterwegs sein.

Wir sind bereits so gut wie unterwegs nach Innsbruck. Das klingt beinahe wie Weihnachten …

Und dann machst du dich auf den Weg, ich weiß es, ohne dass es jemand gesagt hätte. Es ist einfach wahr. Und aufregend. Und neu. Und voller Hoffnung. Und auch ich machte mich auf den Weg. Die Welt ist plötzlich in Bewegung, weil es stimmt: Ein Wunder ist geschehen. Mitten unter uns. Auf einmal ist es da. Die Wanderschaft beginnt. Nun gibt es kein Zurück. Einen langen Weg legst du zurück.

Wusstest du, dass alles mit einer Wanderung begonnen hat?

Nach elf Jahren Austausch Sachsen-Oberösterreich zwischen dem Sächsischen AutorInnen Verband und der Grazer Autorinnen Autoren Versammlung waren nun, vorerst zum letzten Mal, die Sachsen zu Gast im Stifterhaus Linz.

Bettine Reichelt und Francis Mohr zu Gast lasen aus ihren Texten und erlaubten im Gespräch einen Einblick in die Veränderungen, wie sie seit der Wende erlebbar geworden sind. Oder seit der „revolutionären Erneuerung“, wie Christa Wolf es in ihrer Rede auf dem Alexanderplatz auszudrücken versuchte, da es um genutzte Möglichkeiten gehen sollte und nicht um das Wegducken der Crew während einer Totalumkehr, weil der Wind sich gedreht habe (vergl. Auf dem Weg nach Tabou, S. 13). Wurden diesen Möglichkeiten je eine Chance eingeräumt? Was können wir rückblickend sehen, erfahren, darüber schreiben?

Die beiden AutorInnen aus Sachsen formulierten es so, dass die Sprache konkreter habe werden können, seit es nicht länger nötig gewesen sei, zwischen den Zeilen lesen zu müssen. Deutlich wurde in diesem Zusammenhang dennoch, dass es gerade in der DDR ein ausgesprochen aufmerksames Publikum gab (auch das ist nachzulesen bei Christa Wolf, die rückblickend konstatiert, das Publikum sei nirgend zahlreicher, anspruchsvoller, fordernder und dankbarer gewesen als in der DDR). Und auch die Autorin Elisabeth Strasser, die dieses Jahr Oberösterreich in Leipzig vertreten hat, fand dort ein zugewandtes Publikum, wie sie ergänzte.

Im Stifterhaus jedoch herrschte ebenfalls eine aufmerksame Bereitschaft zum Zuhören, Fragen und Sich-einlassen auf die doch sehr verschiedenen Zugänge, mit denen die vorgestellten Texte erstellt wurden: „Der Stoff liegt auf der Straße, man muss sich nur krümmen“, meint Francis Mohr und bedient sich am reichhaltigen Alltag, während Bettine Reichelt die Bibel als unerschöpflichen Pool sieht, den kriminellen Energien des Menschen nachzuspüren, die durch alle Systeme hindurch offenbar gleichbleibend konstant bleiben. Als des Menschen Natur?

Danke für den Abend und die sowohl sprachliche als auch inhaltliche Rückkehr in die Ostberliner Gartenlaube meiner Kindheit. Damals verspürte ich neben der Hoffnung auf Wiedervereinigung, die mir als utopisch abgetan wurde, die unerschütterliche Hoffnung auf eine Gesellschaft, die eine humanistische Tradition und die Freiheit des Menschen in sich vereint.

Ich hoffe, diese Utopie entpuppt sich eines Tages als ebenso wenig reine Utopie wie es der Mauerfall gewesen ist und die menschliche Natur widerlegt ihre altherbebrachten Zuschreibungen innerhalb der nächsten 2000 Jahre.

There is a kind of „call and response“ between something deep within the story and something deep within ourselves (Keith Cunningham)

Auf dem Hollengut werde ich ein Seminar zum Thema Drehbuchschreiben abhalten. Der Fokus liegt hier auf dem Aspekt des

Drehbuchs als Spiegel menschlicher Wachstumsprozesse.

Drehbuchschreiben beschäftigt sich mit den Emotionen der Figuren, ihren blinden Flecken und dem Potential, sich (weiter) zu entwickeln. Damit bilden Filme einen verdichteten Lebensprozess ab – mit aller Unwegsamkeit und allen Möglichkeiten, die in tieferliegenden Konflikten zu finden sind.

Am ersten Tag möchte ich wichtige Grundbegriffe der Dramaturgie erörtern. Zu verstehen, wie eine Geschichte funktioniert, hilft zum einen, das eigene Schreiben zu vertiefen und mit der Arbeit an einem Drehbuch beginnen zu können, und zum anderen, Filme anders zu betrachten und das ihnen innewohnende Potential erkennen zu lernen. Am zweiten Tag werden wir das Vorgestellte mit Übungen verfeinern und anhand des entstehenden Materials dramaturgische Fragen vertiefen.

So liefert das Seminar zum einen ein solides erstes Gerüst zur Ausarbeitung eines Drehbuchs als auch den erweiterten Blick auf den Zusammenhang zwischen Geschichten/äußerer Handlung und der inneren Entwicklung einer Figur.

Es dient somit nicht allein dem eigenen Schreiben, sondern zugleich dem Verständnis menschlicher Wachstumsprozesse, denn darin liegt die Kraft des Dramas: von dem zu sprechen, was es unentbehrlich macht: Wachstum durch Krise.

Menschsein.

Samstag, 12. Oktober, 12-18 Uhr und Sonntag, 13. Oktober 2019, von 11.00 Uhr – 17.00 Uhr (mit Mittagspause aus der regionalen Küche des Hollenguts)

Anmeldung bei mir.

 

Das vollständige Interview zum Thema HEIMAT, das ich mit Gernot Fohler von der Rundschau geführt habe, an dieser Stelle noch einmal in voller Gänze.

  1. Sie haben sich mit dem Thema Heimat in einem Roman auseinandergesetzt. Was bedeutet der Begriff Heimat für Sie? Stehen Sie ihm positiv gegenüber?

»Für mich«, sagt Irina, »ist Heimat ein Gefühl, das unverwüstlicher ist als alles andere und immer bei mir bleibt, in meinem Körper trage ich es stets bei mir.« Ein Wert, der ihr nicht genommen werden könne, die Bezeichnung eines geistigen Ortes. (Corinna Antelmann. Hinter die Zeit. Wien 2018: 124).

Die Protagonistin sucht nach dieser Heimat jenseits von Grund und Boden durch Selbsterkundung. Das ist ein Ansatz, der mir gefällt: Die Heimat in sich selbst finden. Darüber hinaus sehe ich unseren Planeten als Heimat. Seit uns durch die Raumfahrt ermöglicht wurde, die Erde von außen zu erblicken, gibt es ja die Hoffnung, dass die Spaltung der Menschheit in Einheimische und Fremde von Stund an bedeutungslos wird. (Emmanuel Lévinas. Heidegger, Gagarin und wir (1961), in: Schwierige Freiheit. Frankfurt/M 1992: 173 ff.) Mit dem ersten Raumflug haben wir zudem die Möglichkeit erhalten, auch in diesem Sinne zu handeln. In diesem Sinne verstanden, ist der Begriff äußerst positiv für mich besetzt.

  1. Seit drei Jahren leben Sie in Ottensheim. Fühlen Sie sich hier daheim?

Ottensheim ist eine lebendige Gemeinde, die danach strebt, dass alle BewohnerInnen gehört werden. Ich bin viel herumgezogen und habe selten erlebt, dass dieses Bedürfnis aller Menschen, sich in das gesellschaftliche Leben einzubringen, in diesem Maße ernstgenommen wird, obwohl es ein Grundbedürfnis ist. Das schlägt sich vor Ort atmosphärisch nieder, weil es öffnet und die Wahrnehmung erweitert: Von den Alten auf die Jungen, den lang Ansässigen auf die Zugezogenen. Ich fühle mich mit offenen Armen empfangen und arbeite hier. So gesehen bin ich momentan in Ottensheim daheim. Sind wir nicht immer dort daheim, wo unsere Grundbedürfnisse gestillt werden?

  1. Was halten davon, wie in Oberösterreich das Thema diskutiert und aktuell mit dem Thema „Heimat“ umgegangen wird?

Ich verstehe den Wunsch nach einer Heimat, die sich an einen Ort bindet, gerade, weil es für mich einen solchen Ort nie gab, da beide Elternteile vertrieben worden sind. Mein Großvater war Bauer und hätte seinen Grund in Schlesien nie verlassen. Er ist nach der Befreiung Deutschlands zurückgekehrt an diesen Ort, ohne zu wissen, was ihn dort erwartete, tote Kühe und verendete Hühner, aber er wollte festhalten, was er als Heimat bezeichnet hätte, und war sogar bereit, unter der Besatzung einen Neuanfang zu wagen. Nicht einmal ein Jahr später trat er mit einem Gepäck von fünfzehn Pfund ein weiteres Mal die Flucht an. So habe ich, wie viele andere, Heimat über den Verlust von Heimat kennengelernt und somit gewissermaßen gezwungen, den Begriff von einem bestimmten Fleckchen Erde zu entkoppeln und bin dankbar dafür. Denn ebenso wie der Blick auf die Erde hätte helfen können, die Perspektive auf den Umgang mit ihr zu verändern, kann der Blick als Fremde möglicherwiese auch immer dazu beitragen, dem Wunsch, Heimat in einem ganz konkreten Sinne zu bewahren, Europa, die Welt, die Erde der Diskussion hinzufügen. Das Einende dem Ausgrenzenden.

  1. Gibt es einen Unterschied beim Thema Heimat zwischen Österreich und Deutschland?

Ich wohne nun schon seit dreizehn Jahren in Oberösterreich; seither hat sich sicher in Deutschland einiges geändert. Mein Empfinden war immer, dass der Begriff Heimat in Deutschland negativ konnotiert und in Oberösterreich das Bedürfnis nach einem Heimatbegriff, der die Menschen in ihrem Land verankert, stärker ausgeprägt ist. Ich bin im Norden aufgewachsen, in Bremen. Auch hier gibt es ein ausgeprägtes Interesse an Stadtgeschichte und den Traditionen wie Pikebrennen oder der Eiswette. Das wird zelebriert, würde jedoch nicht als Heimatpflege beschrieben werden, vermute ich. Ich empfinde die Beschäftigung mit Brauchtum und Dialekt als eine wertvolle Haltung, als den Wunsch, zu verstehen, wo man lebt, und wie die Menschen denken. In Bremen heißt das: Wo de Nordseewellen trecken an den Strand, wo de geelen Blömen bleuhn int gröne Land, wo de Möwen schrieen hell int Sturmgebrus do is mine Heimat, do bün ick to Huss (plattdeutsches Volkslied). Ich freue mich immer über den Erhalt und die Pflege jedweder Sprache, das ist wichtig und unbedingt wünschenswert. Überall. Denn sie ist ja mein Instrument.